Reform des Staatsbürgerschaftsrechts - 
Zum aktuellen Gesetzentwurf (Stand: 17.3.99)

Am Donnerstag, den 11.03.99 haben Bündnis 90/Die Grünen und die SPD sich in der Koalitionsrunde auf einen Kompromiß im Staatsbürgerschaftsrecht verständigt. Die Fraktionen haben am Dienstag, den 16.03.99, den Gesetzentwurf abschließend beraten.

Zur Vorgeschichte:

Nach der Hessenwahl und dem damit verbundenen Verlust der Bundesratsmehrheit, war klar, daß der von Bundesinnenminister Schily erarbeitete Gesetzentwurf in seiner ursprünglichen Fassung nicht mehr ins Parlament eingebracht werden konnte, weil er dort definitiv keine Mehrheit bekommen hätte. Deshalb vereinbarte die rot/grüne Koalitionsrunde am 23. Februar, daß Minister Schily unter Beteiligung von Bündnis 90/ Die Grünen einen neuen Gesetzentwurf vorlegt, der in Bundesrat und Bundestag die Zustimmung findet (vgl. "In der Debatte" 7-99). Da es hierbei insbesondere auf die Stimme des Landes Rheinland-Pfalz im Bundesrat ankam, führte Bundesinnenminister Schily im Auftrag der Koalitionsrunde nach einer rot/grünen Verständigung mit dem rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck und dem Mainzer FDP-Landeschef Rainer Brüderle Gespräche.

Nach zähen Verhandlungen liegt nun ein Entwurf vor, der im Bundestag und im Bundesrat zustimmungsfähig ist. Dieser Entwurf ist ein Kompromiß zwischen den Vorstellungen der Grünen, der SPD und dem Land Rheinland-Pfalz.

Der gefundene Kompromiß bleibt hinter unseren Zielen zurück, enthält aber einige wirklich wichtige Verbesserungen:

Insbesondere für die erste Einwanderergeneration hatten wir uns ein großzügigeres Angebot erhofft. Zumindest für diese Generation hätten wir uns die regelmäßige Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft gewünscht. Es bleibt aber beim Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit. Wir haben zwar die Ausnahmen erweitert, aber eine wirklicher Brückenschlag zur ersten Generation ist das nicht. Dies ist an der FDP gescheitert. Hier hat sich gezeigt, daß die FDP nicht einbürgern will, also keine Integration möchte.

Ein großer Erfolg hingegen ist die Einführung des ius soli (Geburtsrecht), auch wenn wir hierbei das Optionenmodell schweren Herzens hinnehmen mußten. Deutscher ist in Zukunft nicht mehr nur, wer von Deutschen abstammt, sondern auch wer in Deutschland geboren wird. Die Abschaffung des reinen "Blutsrechts" und die Ergänzung um das Territorialprinzip ist eine echte Reform im Staatsbürgerschaftsrecht und beendet endgültig die "Gastarbeiterära".

Die wichtigsten Eckpunkte des Gesetzentwurfs zur Reform des Staatsbürgerschaftsrecht:

 1. Einführung des ius soli

Das Abstammungsprinzip wird durch Elemente des Territorialprinzips/ius soli ergänzt. Dies wird auch für die zweite Generation und nicht nur für die

2,5. Generation gelten und geht daher über die Regelungen des Koalitionsvertrags hinaus. Voraussetzung ist, daß ein Elternteil sich seit acht Jahren rechtmäßig im Inland aufhält und mindestens seit drei Jahren eine unbefristete Aufenthalts-genehmigung besitzt.

Bis zum 23. Lebensjahr muß die andere Staatsangehörigkeit aufgegeben werden, andernfalls geht die deutsche Staatsangehörigkeit verloren. Es sei denn, es wird eine Beibehaltungsgenehmigung erteilt (nach Maßgabe des erweiterten § 87 AuslG, s.u.).

In der jetzigen Formulierung sehen wir nach wie vor Nachbesserungsbedarf, um das Gesetz wirklich verfassungsfest zu machen. Zum Gesetzentwurf wird es auch noch eine Expertenanhörung im Innenausschuß geben.

 2. Übergangsregelung

Kinder, die zum Zeitpunkt des Inkrafttreten des Gesetzes nicht älter als zehn Jahre sind und bei denen die Voraussetzungen des ius soli vorliegen und oder zum Zeitpunkt der Geburt vorgelegen hätten ("Altfallregelung"), können auf Antrag eingebürgert werden, sofern sie bzw. ihre Eltern binnen eines Jahres einen Antrag stellen.

Dies ist sicherlich ein großer Erfolg, denn mehr als 700.000 Kinder können diese Regelung in Anspruch nehmen und damit eingebürgert werden.

 3. Senkung der Fristen für die Anspruchseinbürgerung

Die Fristen für die Anspruchseinbürgerungen werden von 15 auf 8 Jahre gesenkt. Die Voraussetzungen für die Anspruchseinbürgerungen bleiben im wesentlichen unverändert. Das heißt, vor allem die sogenannte Sozialklausel bleibt unverändert. Wer unverschuldet in wirtschaftliche Not gelangt, behält seinen Einbürgerungsanspruch. Gleiches gilt für die Frage der Straffälligkeit, auch hier bleibt altes Recht bestehen, d.h. Strafen bis zu 180 Tagessätze bleiben unberücksichtigt (Strafen werden nicht kumuliert).

In beiden Fragen hat der Einsatz der Bündnisgrünen Verschärfungen abwenden können, die von der SPD vorgesehen waren.

Die Senkung der Fristen in Verbindung mit der Beibehaltung der geltenden Sozialklausel ist eine echte Verbesserung und insoweit ein Erfolg.

Durchgesetzt hat sich die SPD bei der Erfordernis von Sprachkenntnissen (es werden "ausreichende Kenntnisse" der deutschen Sprache gefordert) und beim Erfordernis der "Verfassungstreue". Wie beides geklärt werden soll, ist noch nicht entschieden.

 4. Hinnahme von Mehrstaatigkeit (§ 87 AuslG)

Hier sind einige Punkte hinzugekommen, allerdings bedeuten sie nicht den großen Durchbruch für die erste Generation, für die wir uns eingesetzt haben.

Dies bedeutet zwar nicht die Einbürgerung bestimmter Gruppen, sondern eine Einzelfallprüfung. Mit dieser Generalklausel soll aber eine großzügige Handhabung für die erste Generation erreicht werden.

Der vorliegenden Gesetzentwurf ist ein erster Schritt zur Reform des Staatsbürgerschaftsrechts. Es ist nicht das, was wir wollten. Wir hätten uns einen größeren Schritt gewünscht. Aber im Hinblick auf das Geburtsrecht und weitere Einbürgerungserleichterungen ist der Einstieg gelungen.

Das Projekt Staatsangehörigkeitsreform ist aber noch lange nicht beendet - nicht nur, weil das Gesetzgebungsverfahren noch vor uns liegt - sondern auch, weil in der Gesellschaft die Auseinandersetzung um dieses Thema weitergehen wird. Insbesondere die Einführung des ius soli ist eine so grundlegende Zäsur, daß die Union weiterhin Stimmung dagegen machen wird. Dies hat sie bereits erklärt.

Wir werden daher weiter um unsere Position werben und versuchen, für unsere Vorstellungen Mehrheiten in der Gesellschaft zu bekommen.

Nach Verabschiedung des Gesetzes wird es darum gehen, über die neuen Einbürgerungsmöglichkeiten aufzuklären und für Einbürgerung zu werben.

Das Thema bleibt für uns Bündnisgrüne also weiter auf der politischen Tagesordnung. Wir werden uns weiter dafür einsetzen, daß die Schwächen des Kompromisses beseitigt werden. Unser Ziel ist, daß alle hier lebenden Migrantinnen und Migranten die gleichen Rechte und Pflichten erhalten. Daher werden wir weiter für andere Mehrheiten kämpfen, um die nötigen nächsten Schritte der Integration durchzusetzen.

Kerstin Müller
Marieluise Beck
Cem Özdemir
Bonn, den 17. 03.1999

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