Hans-Curt Flemming
Hans-Curt Flemming publiziert seit kurzem seine Gedichte online auf gedichte-gedanken.de
Es gibt so viele Gründe,
alles beim alten zu lassen
und nur einen einzigen,
doch endlich etwas zu verändern:Du hältst es einfach nicht mehr aus!
Wer,
wenn nicht Du selbst,
kann so zu Dir
ja
sagen,
daß Du es hörst?
Ich bin ein Versprechen,
das sich fürchtet,
bei seiner Einlösung
zu verschwinden.
Solange ich das Glück
nur bei den anderen suche
bleibt bei mir
nur das Unglück.
Schmerzlicher Schluß
Mit so verschiedenen Frauen
so ähnliche Erfahrungen:Da komm ich an mir selbst
nicht mehr vorbei.
Über Liebe
Ich kann niemanden lieben,
wenn ich mich nicht selbst liebe.Ich kann niemanden mehr lieben,
als ich mich selbst liebe.Niemand kann mich mehr lieben,
als ich mich selbst liebe.
Was mehr ist, geht über mich hinweg.Bei mir also muß ich anfangen.
Erläuterung
Damit ich nicht an dir hängenbleibe,
komm ich dir gar nicht erst nahe.
Behauptung
Liebe
kann nicht weh tun.
Was weh tut, ist
nicht Liebe.
Liebe
und Sicherheit
schließen sich aus.
Was ich
zu schützen versuche,zerstöre ich
genau dadurch.
Vom Kaninchen und der Schlange Es war einmal eine Schlange, die war ein Kaninchen. Das machte es natürlich sehr schwierig, denn bekanntlich fressen die Schlangen Kaninchen, und Kaninchen fürchten nichts mehr als Schlangen hienieden. So war dieses Lebewesen schweren, inneren Spannungen ausgesetzt, die ihm das Fell ausbeulten. Manchmal stand es kurz davor, sich selbst zu verschlingen, oder aber ein für allemal vor sich selbst davonzulaufen. Wenn es ein Kaninchen fraß, fraß es sich selber, wenn es vor einer Schlange Angst hatte, hatte es vor sich selber Angst. Auf diese Weise kann man ziemlich einfach verrückt werden.
Außerdem war es so, daß diese Schlange kaum andere Schlangen kannte, welche sich mit ähnlichen Schwierigkeiten herumzuplagen hatten. Genaugenommen kannte es keine einzige. Sie waren eben Schlangen, und wenn ihnen ein Kaninchen begegnete, dann fraßen sie es auf und damit war Schluß, ohne weitere Probleme. Und die Kaninchen, die liefen vor einer Schlange davon, denn Stehenbleiben wäre der glatte Selbstmord gewesen. Aber wenigstens lagen die Dinge klar und eindeutig für sie.
Die Schlange hatte gelegentlich den Verdacht, daß sie doch nicht so allein mit dieser merkwürdigen Krankheit war. Aber wenn sie andere darauf ansprach, dann wiesen sie es weit von sich, froh, nicht auch noch solche Probleme zu haben. So wurde die Schlange bisweilen von weitem bestaunt, und letzten Endes wußte keiner, woran er mit ihr nun wirklich war.
Eines Tages traf die Schlange aber doch auf eine andere, die genau das gleiche Problem hatte. Glücklich, einander gefunden zu haben, sprachen sie sich aus und schworen sich, einander nie ein Leides zuzufügen. Das war auch nötig. Denn Schlangen können einem Kaninchen kaum widerstehen, und deshalb können die Kaninchen den Schlangen auch nicht standhalten. Diese beiden aber herzten und küßten sich, entdeckten viel Bekanntes und viel Neues aneinander und liebten sich sehr. Sie fürchteten einander nicht, denn sie verließen sich auf ihren Schwur, und jedes wußte, daß das Andere zu ihm halten würde. Dadurch wurde es leichter, den eigenen Schwur zu halten.Sie sahen andere Schlangen, übrigens ziemlich viele, die ebenfalls Kaninchen zu sein schienen. Aber die gaben es vor nichts und niemand zu. Und manchmal, wenn sie gerade mal eben Kaninchen waren, dann machte es ganz kurz "grapsch", und dann waren sie gefressen - wenn sie nicht schnell genug davonhoppelten und sich in Sicherheit brachten. Die beiden Schlangen sahen zu und sagten, es käme daher, daß in solchen Fällen übersehen worden sei, daß beide Naturen im gleichen Lebewesen existierten ...
Sie überlegten sich auch, ob Schlangen wirklich so unwiderstehlich von Kaninchen angezogen werden, und manchmal spürten sie tatsächlich, daß irgendein Kaninchen sie eigentlich gar nicht interessierte und daß sie vielleicht aus reiner Gewohnheit nur, aus Angst vielleicht, sonst nicht für eine ordentliche Schlange gehalten zu werden, zuschnappen wollten. Vor allem merkten sie, daß auch etwas anderes als Kaninchen gut schmecken konnte.So ging das eine Zeitlang ganz gut.
Allmählich aber kamen auch immer mal wieder so kleine Gefühlchen hoch, daß ein Kaninchen eben doch was Leckeres sei. Als die Schlange dies bemerkte, erschrak sie zutiefst. Sie sagte zu sich: Du hast einen Schwur getan, und Du schadest dir selbst, wenn Du ihn brichst. Schließlich bist auch Du ein Kaninchen.
Und sie schämte sich klein und runzlig für ihre alte Schlangenuntugend, blickte ihr Gespiel an, das gerade halb Schlange und halb Kaninchen war und gab sich einen besonders friedfertigen Ausdruck. In gewundenen, vorsichtigen Worten versuchte sie, diese unerwünschten Gefühle gelegentlich auszudrücken. Dabei stieß sie sofort auf die ebenso große Angst ihrer Gefährtin.Es kam; wie es kommen mußte: eines Tages vergriff sie sich eben doch an einem Kaninchen.
Das war eine schwere Erschütterung. Die andere Schlange wußte nun, daß ihre Geliebte immer noch der alten Leidenschaft huldigte, und diese gab das auch voller Verzweiflung, Zerknirschung und Trauer zu. Schließlich hatte sie in nackter Begierde nach dem Kaninchen gegriffen, und eigentlich hatte es ihr auch nur am Anfang geschmeckt, und nur ein bißchen, aber geschehen ist geschehen, da hilft nichts.
So war das Schlangen-Wesen wieder zurückgekehrt, und jeder fürchtete sich, zwischendurch wieder zum Kaninchen zu werden. Die Grundlage des Vertrages war rissig geworden: das Vertrauen. Die andere Schlange hielt es für einen Akt der Notwehr, ebenfalls gelegentlich nach einem Kaninchen zu schnappen. Und jede dachte bei sich, daß es ein schweres Los sei, gleichzeitig Schlange und Kaninchen zu sein.
Aber das änderte nichts an den Tatsachen. Und so kam es, daß die eine Schlange der anderen, als die gerade mal wieder ein Kaninchen war, ein Ohr abbiß und daß die andere Schlange der einen, als jene gerade mal wieder ein Kaninchen war, mehrere Zehen wegfraß. Allmählich wurden die jeweiligen Kaninchen immer verstümmelter, und für ein verstümmeltes Kaninchen wurde es immer schwerer, fortzuhoppeln. Für eine Schlange war denn auch nichts gefährlicher, als unversehens wieder in so ein mehr oder weniger zerfleddertes Kaninchen zurückverwandelt zu werden. Aber da nunmal beide beides waren, ließ sich nichts aufhalten. Bald fehlte ein Bein, noch ein Ohr; eine Rippe, sämtliche Barthaare, eine ganze Nasenspitze, und die Kaninchen sahen immer jämmerlicher aus, während die Schlangen sich bester Gesundheit erfreuten. Weil die jeweiligen Kaninchen immer schlechter vor ihnen fliehen konnten, beschleunigte sich dieser Prozeß.
Eines Tages also saßen sie wieder voreinander: eine Schlange und ein erstarrtes, zerrupftes Kaninchen, das sein Schicksal verfluchte; ausgerechnet jetzt wieder mal zum Kaninchen geworden zu sein. Denn auffallenderweise waren die beiden niemals gleichzeitig Schlange oder Kaninchen, wie zu Beginn ihres gemeinsamen Weges, sondern immer abwechselnd. Vielleicht stimmte das :auch nicht, und wenn sie beide gleichzeitig das Gleiche waren, taten sie sich nichts zuleide? Keiner weiß das bis heute, sie haben nichts davon bemerkt.Jedenfalls saßen sie voreinander, und das zerrupfte Kaninchen wartete auf seine nächste Wunde, denn es konnte schon lange nicht mehr fliehen. Es dachte auch daran, was es der anderen Schlange antun würde, wenn die nur erst wieder ein Kaninchen war, und hoffte, daß es dazu lang genug leben würde. So ging das übrigens schon eine ganze Zeitlang, und die beiden bekamen immer weniger mit von dem, was um sie herum ablief.
Das Kaninchen saß also da und wartete, gelähmt vom Blick der Schlange.
Da sah es, daß die Schlange blinzelte. Ja, sie blinzelte. Und dann sah es, daß sie einen verwunderten Gesichtsausdruck bekam, soweit dies für eine Schlange überhaupt möglich ist. Jedenfalls war etwas anders geworden. Das Kaninchen saß immer noch da und wartete, und die Schlange hatte immer noch nicht zugebissen. Vielmehr wich sie ein wenig zurück; dann bekam sie einige Zuckungen, und plötzlich wurde auch sie zum Kaninchen - zu einem, das ebenso zerrupft aussah wie das andere. Während dieses Prozesses hatten sie sich unverwandt angesehen, und so kam es, daß sie zum ersten Mal beide bewußt zur gleichen Zeit Kaninchen waren.Sie saßen sich gegenüber. Das eine Kaninchen sagte zum andern: "Mir tut alles weh, ich kann kaum noch laufen!" und das andere sagte zum einen:
"Mir doch auch - sieh her, wie Du mich zugerichtet hast!"
"Sieh mich an, dann weißt Du, was Du selber tust ... !" sagte das andere Kaninchen.Bekümmert schauten sie einander an. Wirklich: kein prächtiger Anblick! Aus ihrem Fell hätte man nicht mal mehr einen Kinderhandschuh machen können. Schön waren nur noch die Kaninchenaugen, braun, groß und glänzend, mit denen sie den ganzen Jammer betrachteten. Was übrig war vom Fell, war matt und strähnig.
Lange saßen sie voreinander und fühlten ihre Wunden. Sie waren doch einmal ganz ansehnliche Kaninchen gewesen ...
Da stupste das eine das andere mit dem übriggebliebenen Rest seiner Nase an, zart, vorsichtig und liebevoll. Das andere rieb seinen Kopf an ihm, übers abgebissene Ohr hinweg."Was machen wir jetzt?" fragte es.
Ja, was?
Sie wußten es nicht. Sie hatten einfach keine Ahnung, wie sie aus diesem Dilemma herauskommen sollten. Mit runden, ratlosen Augen sahen sie einander an.
Da erblickten sie etwas Erstaunliches.
Dort, wo das eine Kaninchen mit seiner abgefressenen Nase das andere angestupst hatte, wuchs das Fell nach. Und das Ohr, über welches das andere mit dem Kopf gestrichen hatte, fing wieder an zu wachsen. Die abgefressene Nase begann, wieder vollständig zu werden. Verwirrt zwinkerten sie mit den Lidern und den restlichen, langen weichen Wimpern. Dann machten sie einen kleinen Versuch. Sie strichen sich zart und vorsichtig über ihre Wunden, über den Beinstummel, die Kuhle mit der ausgefressenen Rippe, das Loch in der Keule - und all das fing wieder an, nachzuwachsen.
Sie wurden beide ganz aufgeregt. Hoffentlich würde keiner zwischendurch wieder zur Schlange werden und das, was da so unerwartet nachwuchs, auffressen. Mit zunehmender Sicherheit heilten sie gegenseitig ihre Wunden.
Dann stiegen sie aus dieser Geschichte heraus.