Victor Pfaff Die Scheindebatte Vom scheinheiligen Streit um das Asylrecht (Aus: Bahman Nirumand (Hg.), Angst vor den Deutschen, rororo Aktuell, 1992) Vom scheinheiligen Umgang mit der Anerkennungsquote Zitieren wir anfangs einen ehrenwerten Mann, Zimmermann, damals Bundesinnenminister (Die Welt, 4.1.1988): «Die Anerkennungsquote ist unter 10% gesunken. D. h., über 90% sind Wirtschaftsflüchtlinge, die keine politisch Verfolgten sind und die wir auch nicht verkraften können.» Das ist nur eine einzige Stimme aus dem tausendfältigen Chor der einfältig Selbstgerechten. Der Herr wird ihnen nicht vergeben, denn gerade sie, die verantwortlichen Politiker, darunter viele von der SPD, wissen es besser. Die zitierte Argumentationslinie ist das entscheidende Kampfmittel gegen die Beibehaltung des Grundrechtes auf Asyl (Artikel 16 Absatz 2 Satz 2 Grundgesetz) und für die Aufhetzung der Öffentlichkeit gegen Flüchtlinge. Zunächst ist der Umkehrschluß - 10 Prozent anerkannt, also 90 Prozent Wirtschaftsflüchtlinge - falsch. Unter Verantwortung des Bundesinnenministers veröffentlicht das ihm unterstehende Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge - kurz: Bundesamt - monatlich eine Statistik. Daraus ergibt sich, daß über Asylanträge nicht nur mit Anerkennung oder Ablehnung entschieden wird, sondern auch durch Verfahrenseinstellung. Zu Verfahrenseinstellungen kommt es hauptsächlich deshalb, weil Asylanträge zurückgenommen werden. Gründe hierfür können sein; Rückkehr in das Heimatland, Weiterwanderung in einen Drittstaat oder Erteilung eines Aufenthaltstitels, der vorn Asylverfahren unabhängig ist. Diejenigen, die untertauchen, pflegen ihre Anträge nicht zurückzunehmen: Das Bundesamt entscheidet in diesen Fällen ohne Anhörung fast immer ablehnend. Am Beispiel der jüngsten Bundesamtsstatistik läßt sich erkennen; Im Zeitraum Januar bis Oktober 1991 wurde über 7,5 Prozent aller Asylanträge mit Anerkennung und über 75,8 Prozent mit Ablehnung entschieden. Über 16,7 Prozent wurde gar nicht entschieden; diese Verfahren erledigten sich anderweitig. Man kann also insoweit keine Aussage treffen, ob anerkannt oder abgelehnt worden wäre. Berechnet man die Anerkennungsquote für den als Beispiel genommenen Zeitraum ohne Berücksichtigung der «sonstigen Erledigungen», dann ergibt sich ein Anteil von 9,8 Prozent. Damit aber nicht genug. Besserwisser wissen: Die Statistik des Bundesamtes enthält die Zahlen nur, wie sie sich zum Zeitpunkt der Entscheidungen des Bundesamtes ergeben. Bekanntlich nehmen viele abgelehnte Asylantragsteller gerichtlichen Schutz in Anspruch. In zahlreichen Fällen ist das Bundesamt aufgrund rechtskräftiger Gerichtsurteile zur Anerkennung eines Flüchtlings als politisch Verfolgter verpflichtet. Im September 1990 hatte Bundesinnenminister Schäuble der Öffentlichkeit den Bericht einer interministeriellen Arbeitsgruppe «Flüchtlingskonzeption» vorgestellt. Dort heißt es: «Die Anerkennungsquote der Gerichte wird statistisch nicht erfaßt. Nach Schätzungen verdoppelt sich dadurch die Zahl der Anerkennungen. Allerdings vermindert sich die Zahl wieder (geringfügig) durch Gerichtsurteile, die der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten erstreitet.» Nehmen wir hierfür die erstinstanzlichen baden- württembergischen Gerichtsentscheidungen als Beispiel; 1989 waren .,11,62 Prozent, 1990 waren 15,90 Prozent aller Asylklagen bei diesen Gerichten erfolgreich. Da man die Verwaltungsgerichte Baden-Württembergs nicht als überdurchschnittlich liberal bezeichnen kann, "kommt man zu dem Ergebnis, daß sich die Anerkennungsquote aufgrund gerichtlicher Entscheidungen mehr als verdoppelt. Die Erfolgsrate des Bundesbeauftragten kann also vernachlässigt werden. Für den Zeitraum Januar bis Oktober 1991 muß also von einer Anerkennungsquote von insgesamt 20 Prozent ausgegangen werden. Noch zu Zeiten, als Bundesinnenminister Zimmermann der Welt seine Weisheit mitteilte, praktizierte die Bundesrepublik Deutschland keine «familieneinheitliche» Anerkennung. Beispiel: Ein politisch Verfolgter aus dem Iran flüchtete mit Ehefrau und zwei minderjährigen Kindern hierher. Er wurde anerkannt; die Ehefrau und die Kinder aber wurden abgelehnt. In der Statistik kamen - in der Sprache des Herrn Zimmermann - auf einen politisch Verfolgten drei «Wirtschaftsflüchtlinge», «die wir nicht verkraften», obwohl doch diese Angehörigen nach dem geltenden nationalen und internationalen Recht selbstverständlich ein Bleiberecht erhalten. Welche Verachtung gegenüber Flüchtlingen und ihrem Leid spricht aus solchem Munde. Die Rechtslage hat sich mit dem Ausländergesetz vom 9.7.1990, insoweit in Kraft seit dem 15.10.1990, geändert: Die Bundesrepublik Deutschland ist zu ihrer eigenen Praxis aus den siebziger Jahren und zur internationalen Praxis zurückgekehrt und gewährt nun den Ehegatten und minderjährigen Kindern eines als asylberechtigt anerkannten Flüchtlings dessen Rechtsstellung. Sie erhalten ebenfalls den internationalen Reiseausweis, eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis und eine unbeschränkte Arbeitserlaubnis. Das Problem der falschen Propaganda mit der Asylanerkennungsquote und den angeblichen Wirtschaftsflüchtlingen ist damit aber noch nicht erschöpft. Es gibt Flüchtlinge, die zwar nicht als politisch Verfolgte nach Artikel 16 Absatz 2 Satz 2 GG, aber als Flüchtlinge im Sinne des Artikels I A Nr. 2 Genfer Flüchtlingskonvention vom 28.7.1951 anerkannt werden, weil im Fall der Abschiebung ihr Leben oder ihre Freiheit bedroht sind (vgl. § 51 Ausländergesetz und § 33 Genfer Flüchtlingskonvention). Nach Definition des Asylverfahrensgesetzes sind diese Antragsteller abgelehnt. Sie erscheinen in der Statistik unter «abgelehnt» und in der öffentlichen Debatte als Wirtschaftsflüchtlinge. Man muß sie aber selbstverständlich denen hinzuzählen, die wegen der begründeten Gefahr politischer Verfolgung hier Schutz gefunden und einen Flüchtlingsstatus erhalten haben. Wie groß die Zahl der Zuletztgenannten ist, wissen wir nicht. Das Bundesamt erfaßt sie statistisch noch nicht. Sind nun die 80 Prozent, die nicht als politische Flüchtlinge anerkannt werden, «Wirtschaftsflüchtlinge» oder, wie sie weiland Franz Josef Strauß bezeichnet hat, «Asylschnorrer», Menschen, die «wir(?) nicht verkraften können»? Schauen wir die Zahlen an, mit denen jüngst Politiker auszogen, das Volk das Fürchten lehren zu wollen. 203000 Asylantragsteller in zehn Monaten des Jahres 1991. So viele wie nach nie! Aber warum wird in den Montags- bis Sonntagsreden von offizieller Seite, in den Talk-Shows, Pro-und-Contra-Sendungen verschwiegen, daß darunter 52000 Menschen aus Jugoslawien sind? Ganz überwiegend Kroaten, auch Kosovo-Albaner, Serben, die nicht am Vernichtungsfeldzug teilnehmen wollen. Sie haben kaum Aussicht auf Anerkennung als politisch Verfolgte, weil sie «nur» Bürgerkriegsflüchtlinge seien. Aber abgeschoben werden Kroaten jedenfalls nicht. Wohin auch sollten sie abgeschoben werden? Vielleicht nach Ungarn, wo man genauso viele kroatische Flüchtlinge aufgenommen hat? Rechnen wir die Kroaten also mit gutem Gewissen aus der Zahl der Abgelehnten heraus, dann verändert sich die Anerkennungsquote drastisch. Unter den «Wirtschaftsflüchtlingen» finden sich weiterhin solche , die aus humanitären oder völkerrechtlichen Gründen nicht abgeschoben werden. Afghanen etwa und einige andere Nationalitäten und ethnische oder religiöse Minderheiten. Ein besonderes Wort verdienen die kurdischen Flüchtlinge aus der Türkei, für die es bundeseinheitlich bis Oktober 1991 ebenfalls einen Abschiebungsstopp gab. Seit Jahren «liefert» uns die Türkei einen beträchtlichen Anteil der Asylantragsteller; die meisten sind Kurden. Die türkischen Staatsorgane foltern und mißachten die religiösen wie die ethnischen Grundrechte und Grundfreiheiten. Die Fülle des Materials zum Beweis dieser Behauptung ist bereits erdrückend (vgl. aus neuerer Zeit etwa die Dokumentation in der Frankfurter Rundschau vom 3. März 1990, S. 12). Es gibt historische Wahrheiten, die nicht ständig neu bewiesen werden müssen. Die Menschheit ist zum Beispiel nicht verpflichtet, den nationalsozialistischen Massenmord am jüdischen Volk neu zu beweisen, wenn einzelne ihn nach heute bestreiten. Genausowenig müssen die menschen- und völkerrechtlichen Untaten der türkischen Staatsorgane, begangen am kurdischen Volk, ständig neu bewiesen werden, auch wenn in der Bundesrepublik Deutschland einzelne, einzelne Ämter, einzelne Gerichte sie leugnen oder doch nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Es ist eine historische Tatsache, daß bis auf den heutigen Tag türkische Staatsorgane viele Menschen unsäglich foltern, ja ganze Dörfer vernichten, nur weil diese Menschen sich friedlich zu ihrem kurdischen Volkstum bekennen. Schon die Veröffentlichung von Vorschlägen zur Aussöhnung des türkischen und kurdischen Volksteils führte zu Verhaftungen (FAZ vom 15. März 1990, S.8). Die türkische Republik hat ihr völkerrechtswidriges Verhalten gesetzlich verankert und vor der Welt offengelegt: «Die Muttersprache der türkischen Staatsbürger ist Türkisch» (Gesetz Nr. 2932 vom 19.Oktober 1983, inzwischen aufgehoben). Die Türkei ist Mitglied des Europarates. Der Schutz der Menschenrechte im Bereich des Europarates erfolgt auf der Grundlage der Europäischen Menschenrechtskonvention vom 4.November 1950, in Kraft seit dem 3.September 1953. Heute sind alle Europaratstaaten an die Konvention gebunden, also auch die Türkei. Die Europäische Menschenrechtskonvention verbietet Folter und unmenschliche Behandlung (Artikel 3). Die Konvention gewährt nicht nur den Individuen unmittelbar Rechte und Verfahrensrechte, sondern sie räumt den Mitgliedsstaaten das Recht ein, die Menschenrechtskommission mit jeder angeblichen Verletzung der Bestimmungen der Konvention durch einen anderen Staat zu befassen. Die Bundesrepublik Deutschland leistete in der Vergangenheit jedoch keinen Beitrag, das menschenrechtswidrige und völkerrechtswidrige Verhalten ihres türkischen Vertragspartners zu beenden. Als am 1. Juli 1982 einige Europaratstaaten Beschwerde gegen die Türkei wegen der Nichtbeachtung der Konventionsrechte durch die dortige Militärregierung erhoben, hat sich die Bundesrepublik Deutschland dieser Beschwerde nicht angeschlossen. Beschwerdeführer waren Frankreich, Norwegen, Dänemark, Schweden und die Niederlande. Wenn die Bundesrepublik Deutschland wirklich ein Interesse daran hat, die Zahl! der Flüchtlinge durch Behebung der Fluchtursachen zu verringern, dann mag sie endlich, gemeinsam mit anderen Staaten des Europarates, dafür eintreten, daß die türkische Regierung die Menschenrechte achtet. Statt dessen mißachtet die Bundesrepublik Deutschland ihrerseits jene Menschen, die vor diesem Terror flüchteten. Die aktiven Kämpfer wurden häufig genug als Terroristen gebrandmarkt, ihre Asylanträge abgelehnt; die passiven Opfer werden als Wirtschaftsflüchtlinge, die es abzuwehren gilt, bezeichnet und behandelt. Dies geschieht zumeist auf der Grundlage der Auskünfte des Auswärtigen Amtes, die sich wie türkische Regierungsbulletins lesen: Zwei Beispiele; Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 8. Juli 1981 an das Verwaltungsgericht Oldenburg; «Es gibt in der Türkei keine gezielte staatliche Verfolgung der Kurden. Der Staat läßt auch nicht zu, daß Kurden von Dritten verfolgt werden.» Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 30.9.1981: «Dem Auswärtigen Amt ist bekannt, daß in Publikationen außerhalb der Türkei behauptet worden ist, daß Folterungen in der Türkei an der Tagesordnung seien. Das Auswärtige Amt hat keine Hinweise auf die Richtigkeit dieser Behauptungen.» Nachdem General Evren in einem Spiegel-Interview eingeräumt hatte, daß in der Türkei gefoltert werde, und nachdem der türkische Staatsminister Öztrak zugestanden hatte, daß die Zahl der Folterungen in der Türkei höher sei als in manchen anderen Ländern, daß aber die türkische Regierung allen Vorwürfe von Folter rücksichtslos nachgehe, änderte das Auswärtige Amt seine Auskünfte und paßte sie der türkischen Sprachregelung an: In der Türkei käme es vereinzelt zu Folterungen, sie seien aber dem Staat nicht zurechenbar; da die türkische Regierung Folterer zur Rechenschaft ziehe. Auch das war unwahr, wie jeder, der sich auch nur flüchtig mit der Situation in der Türkei befaßte, wissen konnte. Tatsache ist, daß seitens des Bundesinnenministeriums und des Bundesaußenministeriums der Versuch unternommen worden war, den NATO-Partner Türkei reinzuwaschen. Als 1979 das Bundesamt 130 türkische Asylantragsteller anerkannt hatte, erhob der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten, der der Weisung des Bundesinnenministers untersteht, in allen 130 Fällen Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland mit dem Ziel, die Anerkennung nicht bestandskräftig werden zu lassen. Man sieht, die Sache hatte System. Und an noch eines sei erinnert: Nachdem Bundespräsident von Weizsäcker Mitte der achtziger Jahre zu einem Staatsbesuch in der Türkei war, dort die Kurdenfrage ansprach und sich dadurch den Zorn der türkischen Regierung zuzog, wurde er nach seiner Rückkehr von führenden Vertretern der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gerüffelt. Die Bundesregierung wollte lediglich, wenn überhaupt, mit den Mitteln der «stillen Diplomatie» auf den Partner Türkei einwirken. Der Ausdruck «stille Diplomatie» stammt aus der oben bereits erwähnten «Flüchtlingskonzeption» vom September 1990 der interministeriellen Arbeitsgruppe, die unter Leitung des Bundesinnenministers arbeitete. Was aber hat die «stille Diplomatie» in bezug auf die Kurdenfrage in der Türkei in den letzten zehn Jahren erreicht? Wenn in Bonn, in München und anderswo von Wirtschaftsflüchtlingen die Rede ist, dann denken wir zum Beispiel! an das Schicksal der kurdischen Flüchtlinge, die größtenteils ihr Land verlassen haben, weil sie mußten. Daß für diese Menschen wenigstens vorübergehend ein Abschiebungsstopp angeordnet worden war, hängt damit zusammen, daß der Wahrheit durch die Justiz eine Gasse geschlagen wurde: Das Verwaltungsgericht Stade hat mit Urteil vom 21.2. 1991 auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes ausführlich begründet, daß die nichtassimilierten Kurden in den angestammten kurdischen Siedlungsgebieten im Osten der Türkei einer asylrechtlich relevanten Gruppenverfolgung in Form der unmittelbar staatlichen Verfolgung unterliegen. Andere Gerichte, wie der Hessische Verwaltungsgerichtshof, haben sich einer ausführlichen Untersuchung derselben Frage angenommen. Es sei auch nicht verschwiegen, daß sich neuerdings Außenminister Genscher international dafür einsetzt, daß die völkerrechtliche Intervention wegen schwerwiegender Verletzung der Menschenrechte durch einen anderen Staat nicht als ein Verstoß gegen das völkerrechtliche Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines solchen Staates angesehen wird. Dieselben kritischen Ausführungen, die hier zum Umgang mit Flüchtlingen aus der Türkei gemacht worden sind, könnten auch zum Thema Sinti und Roma, vor allem aus Rumänien, gemacht werden. Auch sie werden nahezu alle vom Bundesamt abgelehnt, obwohl sie doch, jedenfalls in Rumänien, der rassischen Verfolgung, wenigstens aber der erniedrigenden Behandlung im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention ausgesetzt sind. Es ist das Verdienst der Evangelischen Kirche in Deutschland, daß sie sich in einer jüngst vorgestellten Studie des Schicksals dieser Minderheit angenommen und sich zu ihrer denunziatorischen Praxis während des Nationalsozialismus bekannt hat (FAZ vom 30.11.1991). Die Asyldebatte krankt jedoch nicht nur daran, daß mit offensichtlich falschen Zahlen hantiert wird, sondern auch daran, daß sie abstrakt, unter Absehung von Schicksalen, bestimmten Fluchtgründen, bestimmten Herkunftsländern oder - gebieten geführt wird. Erinnern wir an einen Leitkommentar des Mitherausgebers der FAZ, Johann Georg Reißmüller, der in der Ausgabe vom 5.9.1985 auf Seite 1 («Diese Last wird zu schwer») die deutsche Natur dem ausländischen Flüchtling überordnete: «Wie soll die jetzt schon überstrapazierte Natur fertig werden mit den unvermeidlichen Folgen der Ansiedlung von immer mehr Asylbewerbern. {...) Für weitere Massenzuwanderung, vor allem aus anderen Kulturkreisen; reichen die Reserven der Natur und Ökonomie nicht, reicht auch nicht die psychische Hinnahmebereitschaft der Bevölkerung, die ihre Heimat nicht verlieren will.» Wer Menschen als Umweltbelastung bezeichnet, braucht sich nicht zu wundern, wenn andere Menschen, Neonazis darunter, zu Steinen und Molotowcocktails greifen. Der frühere hessische Landesvorsitzende der NPD äußerte sich, nachdem er im Mai 1989 zum ehrenamtlichen Stadtrat im Frankfurter Magistrat gewählt worden war, gedanken- und fast wortgleich zur Flüchtlingsproblematik wie Reißmüller: «Unsere Umwelt ist schon jetzt verschmutzt genug» (FAZ vom 26. 5. 1989, Seite 38), und wenige Tage später: «Die Zuwanderung von Ausländern muß aus Gründen des Umweltschutzes gestoppt werden» (FAZ vom 30. 5. 1989, Seite 39). 1991 wurden mehr als 300 Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte verübt - zum Schutze unserer Natur und zum Schutze vor Überfremdung. Friedrich Carl Fromme, verantwortlicher Innenressortleiter der FAZ, soeben mit dem Großen Verdienstkreuz geehrt und von Engholm wegen seines «abgewogenen Urteils in Verfassungsfragen» gelobt (FAZ vom 30. 11. 1991), trachtet uns weiterhin vor Überfremdung zu schützen: «Das Publikum sieht die nationale Identität, die niemand in Europa bestreitet, die nichts mit zu tun hat, bedroht durch diejenigen, die unter Mißbrauch des Asylrechts einreisen, das nur politisch Verfolgten zusteht, und hier über einen langen Rechtsweg ernährt werden» (FAZ vom 29. 11. 1991 ; Seite 1). Eine weitere Lüge: «Politisch Verfolgte nehmen wir auf - nur den Asylmißbrauch bekämpfen wir» So tautet seit über zehn Jahren regierungsamtlich und parlamentarisch die hundertfach der Öffentlichkeit verkündete Lösung. Auch der neue Bundesinnenminister Seiters hat seine Antrittsrede mit dieser Schablone garniert: «Politisch Verfolgte müssen weiterhin(!) in Deutschland Zuflucht finden, doch muß der Asylmißbrauch effektiver bekämpft werden.» Von Kampf zu sprechen ist richtig. Aber ist für den Rest der Aussage der schwere Vorwurf der Lüge gerechtfertigt?" Im Frühjahr 1980 hatte die Bundesregierung - damals wohlgemerkt die sozialliberale unter Helmut I. - Maßnahmen gegen den Zugang politisch Verfolgter ergriffen. Sie führte (mit Zustimmung des Bundesrates) den Visumzwang für die Staatsangehörigen jener Länder ein, aus denen die meisten Flüchtlinge kamen, darunter Iran, Äthiopien (Eritrea), Afghanistan. Bleiben wir beim Beispiel Afghanistan: Im ganzen Jahr 1979 hatten 498 afghanische Staatsangehörige in der Bundesrepublik Deutschland um Asyl nachgesucht. Darunter waren nicht wenige, die bereits längere Zeit hier lebten und nun nicht zurückkonnten. Vom Dezember 1979 an unterstützte die UdSSR ihr terroristisches Satellitensystem in Kabul mit brutaler Waffengewalt. Folter, Hinrichtungen, Deportation, Verfolgungen aller Art hatten die Herrschaft der Satrapen Taraki und Amin und ihres Geheimdienstes Khad nicht sichern können. Sofort reagierte die Bundesrepublik mit Einführung eines Visumzwanges, um zu verhindern, daß afghanische Flüchtlinge (über Pakistan) hierher gelangten. Die entsprechende Verordnung war wie folgt begründet: Die Einführung der Sichtvermerkspflicht solle «ein geordnetes Einreiseverfahren sicherstellen und den in jüngster Zeit hervorgetretenen Schwierigkeiten durch Einreisen in verdeckter Absicht der Arbeitsaufnahme begegnen, ohne jedoch die Möglichkeit der Einreisegewährung aus humanitären Gründen auszuschließen» (Bundesratsdrucksache 146/80). Preisfrage: Wer kennt einen Afghanen, der in verdeckter Absicht der Arbeitsaufnahme eingereist ist? Sind denn die 3,5 Millionen Afghanen, die nach Pakistan flohen, und die 1,5 Millionen, die sich in den Iran retteten, dorthin auch in verdeckter Absicht der Arbeitsaufnahme geflüchtet? Zweierlei zeigt diese wahrhaft infame Argumentation: Erstens hat die Flucht politisch Verfolgter in die Bundesrepublik Deutschland nach Auffassung des BMI und des Bundesrates ausschließlich im Rahmen eines «geordneten Einreiseverfahrens» stattzufinden. Darunter ist eine Einreise nach vorheriger Prüfung und Billigung des Aufenthaltszwecks durch die Botschaft und die Ausländerbehörde, die dem Antrag zustimmen muß, zu verstehen. Ein Visum zum Zwecke der Asylantragstellung in der Bundesrepublik Deutschland von einer in einem Drittstaat gelegenen Auslandsvertretung zu erhalten ist aber auch dann regelmäßig völlig aussichtslos, wenn die Flucht in diesem Drittstaat noch nicht unterbrachen .ist. Zweitens klärt die Begründung der Bundesratsdrucksache darüber auf; daß selbst die afghanischen Flüchtlinge als «Scheinasylanten» angesehen werden, denen es in Wirklichkeit nicht um Schutz vor politischer Verfolgung, sondern um Arbeitsaufnahme gehe. Das Dokument ist aber nicht eine einmalige Entgleisung, die man nachsehen könnte. Im Bericht vom 12.6. 1981 der Bund-Länder-Arbeitsgruppe «Asylwesen», tätig aufgrund eines Beschlusses der Regierungschefs von Bund und Ländern, wurde festgestellt: «Die Möglichkeit der sichtvermerksfreien Einreise erleichtert den Mißbrauch des Asylverfahrens. Aus diesem Grund ist gegenüber einer Reihe von Staaten, deren Angehörige in größerer Zahl aussichtslose Asylverfahren betrieben haben, die allgemeine Sichtvermerkspflicht eingeführt worden.» Unter den acht Herkunftsländern wird Afghanistan genannt. Als «Lösungsmöglichkeit» wurden in dem Bericht Luftverkehrskontrolle und Transitvisumpflicht aufgeführt. Erneut werden afghanische Flüchtlinge ausschließlich unter dem Gesichtspunkt «illegale Einreise» behandelt: «Um illegale Einreisen zu unterbinden, hat der Bundesverkehrsminister auf Bitte des Bundesinnenministers am 25. Juni 1980 eine Auflage zur Betriebsgenehmigung der Luftverkehrsgesellschaften erlassen, nach der sichtvermerkspflichtige Ausländer im Bundesgebiet nur dann abgesetzt werden dürfen, wenn sie im Besitz der erforderlichen Grenzübertrittsdokumente sind.» Als typisches Beispiel wird in dem Dokument die Flugroute Karatschi-Frankfurt- Istanbul genannt, welche die afghanischen Flüchtlinge nutzten. Im September 1981 wurde dann die Transitvisumpflicht für afghanische Staatsangehörige eingeführt, und die Zuflucht zu unterbinden. Der Drucksache beigegeben war eine Übersicht über die Zahl der Asylbewerber bei der Grenzschutzstelle Flughafen Frankfurt am Main im Jahr 1981 (Januar bis Juni). Daraus ergibt sich, daß im angegebenen Zeitraum von insgesamt 1535 Asylsuchenden 1467 aus Afghanistan kamen und nur 68 aus anderen Ländern. Von diesen afghanischen Flüchtlingen kamen ohne Sichtvermerk aus Drittstaaten 1416. Die . Bundesratsdrucksache behandelt das Schicksal der politisch Verfolgten aus Afghanistan unter anderem unter Kostengesichtspunkten: "Einem gewissen, derzeit abzuschätzenden Mehraufwand für die Bearbeitung von zu erwartenden Durchreisesichtvermerksanträge. bei bestimmten deutschen Auslandsvertretungen stehen Mehreinnahmen an Gebühren für die Erteilung solcher Sichtvermerke gegenüber. Außerdem werden Länder und Gemeinden durch den (beschränkten) Rückgang von afghanischen Asylbewerbern kostenmäßig entlastet.» Was kostet das Grundrecht auf Asyl? Obwohl nach Einführung des Transitvisumzwangs für afghanische Staatsangehörige die Zahl afghanischer Asylantragsteller drastisch gesunken war, wurde der Abwehrdruck verschärft. Am 10. Mai 1982 antwortete Staatssekretär Dr. Fröhlich auf folgende Frage des Bundestagsabgeordneten Gerlach (CDU/CSU): «Trifft es zu, daß die Zahl! der über den Flughafen Frankfurt einreisenden Scheinasylanten - insbesondere aus Pakistan - nach wie vor im Steigen begriffen ist, und wie erklärt die Bundesregierung diese Entwicklung im Hinblick auf die von ihr zur Unterbindung dieses Mißstandes eingeführte Visumpflicht?» (Bundestagsdrucksache 9/1657). Der Staatssekretär führte aus: «Nahezu alle auf diesem Weg in die Bundesrepublik eingereisten Ausländer sind afghanische Staatsangehörige, die aus Pakistan kommend einreisen. (...) Seit Anfang dieses Jahres wird beobachtet, daß fast alle über Pakistan einreisenden afghanischen Staatsangehörigen gefälschte Pässe, gefälschte deutsche Sichtvermerke und sogar gefälschte Bestätigungsschreiben der örtlichen deutschen Auslandsvertretungen über die Echtheit ihrer Papiere besitzen. (...) Die Visumspflicht wird auf diese Weise umgangen. Wie ich Ihnen auf Ihre schriftliche Frage vom April! des Jahres mitgeteilt habe, wird derzeit neben anderen Maßnahmen an einem fälschungssicheren Sichtvermerksvordruck gearbeitet, der baldmöglichst eingeführt werden soll.» Der gnadenlose Kampf der Bundesregierung gegen die angeblichen Scheinasylanten war ein Kampf gegen politisch Verfolgte. Warum ist diese Aussage gerechtfertigt? Afghanische Flüchtlinge wurden damals und in den folgenden Jahren vom Bundesamt zu 60-70 Prozent als asylberechtigt anerkannt (dies ohne Berücksichtigung der Anerkennungen aufgrund gerichtlicher Entscheidungen). Was am Beispiel der Afghanen dargelegt wurde, gilt auch für iranische Flüchtlinge. Gegen sie wurde 1980 der Visumzwang eingeführt zu einem Zeitpunkt, als der Westen, darunter zahlreiche deutsche Firmen und Konzerne, den Aggressor Saddam Hussein aufrüstete. Im Oktober 1986 wurde für iranische Flüchtlinge - mit leidenschaftlicher Unterstützung von Teilen der SPD, voran Egon Bahr, das Berliner Loch geschlossen. Wird Honnecker sich je vor einem deutschen Gericht zu verantworten haben, könnte er das zu seiner Verteidigung vortragen! Anschließend wurde auch noch der Transitvisumzwang gegen politisch Verfolgte aus Iran eingeführt (Dezember 1986). Damals wurden diejenigen iranischen Flüchtlinge, die es gegen Zahlung horrender Fluchthilfegelder gleichwohl schafften, in die Bundesrepublik Deutschland zu flüchten, allein vom Bundesamt schon zu über 42 Prozent anerkannt; rechnet man die Anerkennungen aufgrund gerichtlicher Entscheidungen, die bei iranischen Flüchtlingen überdurchschnittlich hoch sind, hinzu, erhöht sich die Quote auf 70-80 Prozent. Noch im Jahr 1991 (bis Oktober) wurden iranische Flüchtlinge vom Bundesamt originär zu 46,7 Prozent anerkannt. Wie kann da jemand behaupten, «politisch Verfolgte müssen Zuflucht finden, weiterhin»? Es handelt sich bei diesen Feststellungen nicht einfach um Historie. Vorschläge zur Änderung des Artikels 16 Grundgesetz zielen darauf ab, endlich verfassungsgemäß realisieren zu können, was bisher mit anderen Maßnahmen, gesetzlichen und administrativen, nicht gelungen ist. Im Januar 1987 wies der Bundesinnenminister, damals Zimmermann, den Bundesgrenzschutz an, Flüchtlinge, die auf dem Flughafen Frankfurt am Main ankommen, trotz Asylbegehrens zurückzuweisen, wenn sie auf der Flucht einen Staat passiert hatten, in dem sie nach Meinung des BMI hätten bleiben können. Betroffen waren erneut vor allem Afghanen und Eritreer. Nachdem die Rechtsprechung diese Praxis für verfassungswidrig erklärt hatte, wies das BMI die weisungsunabhängigen(!) Einzelentscheider beim Bundesamt an, in der artigen Fällen seine, des BMI, Auffassung zu vertreten und gegebenenfalls auch von der Möglichkeit einer unbegründeten Entscheidung ""Gebrauch zu machen (Erlaß vom 10.7.1987 an das Bundesamt, VII 3 125415-2/1). Dies war einer der Gründe, warum in einigen Länderbereichen die Anerkennungsquote vorübergehend rapide sank (Afghanistan 1985: 76 Prozent Anerkennungen; 1987 noch 17,9 Prozent. Äthiopien 1984: 87 Prozent Anerkennungen; 1987 noch 4,5 Prozent). Man sieht, die Anerkennungsquote ist manipulierbar- unabhängig von einer Änderung der Verhältnisse im Herkunftsland. Auch die Gesamtanerkennungsquote sank in jenen Jahren wegen solcher und anderer Winkelzüge (von 1985: 30 Prozent auf 1987; 9,4 Prozent) und erlaubte den Politikern, verstärkt «Asylmißbrauch» zu behaupten und von «Wirtschaftsflüchtlingen» zu sprechen. Die kürzlich von Schäuble vorgeschlagene Änderung des Artikels 16 Grundgesetz (s. u.) soll es endlich erlauben, alle Flüchtlinge gleich, ob politisch verfolgt oder nicht - an der Grenze abzuweisen oder nach Grenzüberschreitung sofort aus Deutschland zu entfernen, sofern sie einen «sicheren» Drittstaat durchqueren mußten. Gerade die politisch Verfolgten sind in aller Regel darauf angewiesen, den Verfolgerstaat zunächst illegal über die gründe Grenze zu verlassen. «Politisch Verfolgte müssen auch in Zukunft Zuflucht finden» was bleibt von diesem heuchlerischen Versprechen übrig? Schäubles Vorschlag der Änderung des Asylgrundrechtes Schäuble hat im Herbst 1991 einen Vorschlag zur Änderung des Asylgrundrechtes vorgelegt. An die Stelle des bisherigen Artikels 16 Absatz 2 Satz 2 GG (Politisch Verfolgte genießen Asylrecht) soll als Absatz3 des Artikels 16 folgendes treten: «Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. Asylrecht genießt nicht, wer aus einem Staat einreist, in dem er nicht der Gefahr ausgesetzt ist, politisch verfolgt oder in einen Staat abgeschoben zu werden, in dem ihm politische Verfolgung droht; das Nähere regelt ein Bundesgesetz. Dieses Gesetz kann bestimmen, daß Asylbewerber aus Staaten; auf die die Voraussetzungen des Satzes 2 zutreffen, an der Grenze zurückgewiesen werden können oder ihr Aufenthalt im Geltungsbereich des Grundgesetzes unverzüglich beendet werden kann.» Auch Schäuble hat seinen Vorschlag damit begründet, Ziel der Reform müsse es sein, politisch Verfolgten, die unseres Schutzes bedürften, weiterhin Zuflucht zu gewähren. Er hat aber hinzugefügt, diejenigen seien vom Asylverfahren auszuschließen, die überhaupt nicht oder nicht mehr aktuell gefährdet seien. Zwei Gruppen von Flüchtlingen seien zu unterscheiden. Zum einen diejenigen, die aus einem Land kamen, in dem nach allgemeiner Überzeugung eine politische Verfolgung nicht (mehr) stattfinde. Dazu sei eine Liste «verfolgungsfreier Herkunftsländer» - möglichst auf europäischer Ebene - festzulegen und anzuwenden. Die Liste muß aufgrund eines Bundesgesetzes erstellt werden. Da sich aber die Lage in den Herkunftsländern rasch ändert, das Bundesgesetz aber nicht alle paar Monate fortgeschrieben werden kann, ist die Lösung gesetzestechnisch nur so vorstellbar, daß das Bundesgesetz etwa folgende Vorschrift enthält: «Der Bundesminister des Innern wird ermächtigt, im Benehmen mit dem. Bundesminister des Auswärtigen eine Liste derjenigen Länder zu erstellen, deren Staatsangehörige vom Asylverfahren ausgeschlossen sind.» Vielleicht :bedarf die Liste noch der Zustimmung irgendeiner Kommission; in der unter anderen ein Bischof und Cohn-Bendit sitzen. Ich habe deshalb oben die Manöver der Ministerialbürokratie relativ ausführlich dargestellt, um sagen zu können: Die Vergangenheit hat gezeigt, daß sogar schon solche Länder auf Abwehrlisten (Visa-, Transitvisa-Listen) gesetzt wurden, deren Staatsangehörige im Falle eines Asylantrags überwiegend als politisch Verfolgte anerkannt worden sind. Woher sollen wir für die Zukunft das Vertrauen nehmen, daß auf eine solche Liste nur verfolgungsfreie Staaten genommen werden? Unbedingt sollten ,auf die Liste Finnland, Frankreich und die Schweiz. Je eine Person aus diesen Ländern hat 1991 (bis Oktober) einen Asylantrag gestellt. Die Liste läßt sich erweitern: Griechenland fünf Antragsteller, Litauen und Lettland je zwei. Daß Polen unbedingt auf die Liste muß, darüber sind sich die Parteien einig. Aber: Das Bundesamt hat im Zeitraum Januar bis Oktober 199121 Polen als asylberechtigt anerkannt: Was tun? Nun gut: nehmen wir Nigeria: In den ersten zehn Monaten 1991 gab es über 6500 nigerianische "Zugänge", und null Anerkennungen in diesem Zeitraum: 1990 wurde eine nigerianische Person anerkannt. Also setzen wir Nigeria auf die Liste, den einen lassen wir über die Klinge springen, Asylrecht hin, Asylrecht her. Aber was geschieht zum Beispiel mit Sudan? 240 "Zugänge", 9 Anerkennungen; Anerkennungsquote in den ersten zehn Monaten 1991: 5,8 Prozent (ahne sonstige Erledigungen: 9,8 Prozent). Ein Vorschlag zur Güte : Führen wir eine Fünfprozentklausel ein; sie hat sich beim Wahlrecht bewährt. Wenn ein Staat nicht in der Lage ist, so zu verfolgen, daß wenigsten 5 Prozent anerkannt werden, hat er es verdient, auf die Liste gesetzt zu werden; Apropos Fünfprozentklausel: Orientieren" wir uns dabei an den Anerkennungen mit oder ohne Gerichtsanerkennungen? Wie berücksichtigen wir die «sonstigen Erledigungen»? Zurück zu Nigeria: amnesty international belegt in seinem Jahresbericht'91, daß es in Nigeria massenhaft Fälle von politischer Verfolgung, und zwar gewaltloser Menschen, gibt. Andere Menschenrechtsorganisationen bestätigen dies. Offensichtlich existiert über dem Mittelmeer eine Scheideanstalt, die bewirkt, daß nur Nichtverfolgte aus Nigeria in unser Land kommen. Wenden wir uns der zweiten Gruppe zu, die Schäuble verfassungsrechtlich behandeln will. Es sind die mutmaßlich oder eventuell politisch Verfolgten. Sie sollen Schäubles Vorschlag zufolge vom Asylverfahren ausgeschlossen werden, wenn sie einen «sicheren Drittstaat» passiert haben, wo sie Schutz hätten finden können (nicht: gefunden haben). Sie könnten nicht nur an der Grenze zurückgewiesen werden, sondern es könnte, wenn sie unkontrolliert eingereist sind, ihr Aufenthalt ohne Asylverfahren unverzüglich beendet werden. Übrig für ein Asylverfahren blieben also nur diejenigen politischen Flüchtlinge, die entweder direkt aus dem Verfolgerstaat oder aus einem Staat hierher fliegen können, in dem die Gefahr bestand, auch dort verfolgt oder von dort in den Herkunftsstaat zurückgeschickt zu werden. Wegen der Sanktionsdrohungen gegenüber Fluggesellschaften (hohe Bußgelder, Rücktransportverpflichtungen, unter Umständen Entzug der Landerechte) hätten dann nur diejenigen eine Chance, die für zigtausend D-Mark gut gefälschte Papiere oder Visa kaufen können. Entsinnen wir uns der Eritreerin, die 1987 von Asmara nach Khartum, dann nach Kairo flüchtete und anschließend versuchte, in einem europäischen Land Asyl zu finden. Eine ganze Woche lang war sie zwischen Kairo, Kopenhagen, Frankfurt, Kairo usw. unterwegs, bis sich ein Grenzschutzbediensteter am Flughafen Frankfurt am Main ihrer erbarmte und sie zur Stellung eines Asylantrages, der übrigens positiv beschieden wurde, einreisen lief3. «Refugees in orbit» nennt man diese Menschen, die es, wenn es nach Schäuble geht, künftig . noch häufiger geben wird. Bereits heute weiß der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen über sie ein trauriges Lied zu singen. . Unter den Tisch gekehrt wäre auch die Sorge, einen Menschen vielleicht deshalb hierlassen zu müssen, weil er zwar nicht als politisch verfolgt anerkannt wird, ihm aber im Falle seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat die Todesstrafe, Folter oder erniedrigende Behandlung im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention droht. Das Bundesverfassungsgericht hat oft genug darauf hingewiesen, daß das Asylgrundrecht nichts anderes als eine Ausgestaltung des Artikels l Absatz 1 Grundgesetz ist: «Die Würde des Menschen ist unantastbar.» Schäubles Vorschlag bedeutet also nicht nur den Versuch der Kaltstellung des Asylgrundrechtes, sondern würde auch die Gefahr des Eingriffs in Artikel 1 Grundgesetz mit sich bringen. Davor hätte das Bundesverfassungsgericht uns zu bewahren. Die Thematik ist den Verfassungshütern nicht neu. Mit Beschluß vom 8. Februar 1983 (BVerfGE3l, 131, 143) entschied das Gericht: «Ebenso wie es selbst der Sicherung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dient, ist auch das Verfahrensrecht für einen effektiven Grundrechtsschutz von Bedeutung; es muß deshalb den Geboten eines solchen Schutzes entsprechen. Erfüllt das vom Gesetzgeber geschaffene Verfahrensrecht seine Aufgabe nicht oder setzt es der Rechtsausübung so hohe Hindernisse entgegen, daß die Gefahr einer Entwertung der materiellen Grundrechtsposition entsteht, dann ist es mit dem Grundrecht, dessen Schutz es bewirken soll, unvereinbar.» Dies sind die Bedenken gegen ein derart verändertes «heiliges Asylrecht» (Helmut Kohl): Der Empfang eines politisch Verfolgten in diesem Lande hätte schier den Seltenheitswert der unbefleckten Empfängnis unserer Heiligen Jungfrau. Schäubles Vorschlag zur Ergänzung des Artikels 24 Grundgesetz Artikel 24 Grundgesetz regelt die Übertragung ~ von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen und die Einordnung der Bundesrepublik Deutschland in ein System kollektiver Sicherheit zur Wahrung des Friedens: Schäuble möchte die Bestimmung so ergänzen: «Artikel 16 Absatz 3 steht völkerrechtlichen Verträgen nicht entgegen; die Fragen des 'Asylrechts und des Asylverfahrensrechts 'mit dem Ziel einer Harmonisierung zwischen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft zum Gegenstand haben: Dies gilt auch, soweit in den Verträgen eine gegenseitige Anerkennung von Asylentscheidungen vorgesehen ist. Damit sollen die im Schengener und Dubliner Abkommen getroffenen Vereinbarungen (Vertragspartner sind bisher die Benelux-Staaten, Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland) auf eine verfassungsrechtlich einwandfreie Grundlage gestellt werden, nämlich die gegenseitige Anerkennung von Asylentscheidungen, der Ausschluß vorn Asylverfahren nach einem bereits in einem Vertragsstaat durchgeführten Verfahren und der dazu notwendige Datenaustausch. Auch hier gibt es aber Bedenken, denn das Bundesverfassungsgericht hat bisher daran festgehalten, daß bei der Übertragung von Hoheitsrechten auf einen anderen Souverän der Grundrechtsstandard im Kern gewahrt bleiben müsse. Wie aber soll das kontrolliert werden, wenn der Flüchtling keine Gelegenheit mehr bekommt, in der Bundesrepublik Deutschland einen Asylantrag zu stellen, nachdem er zum Beispiel in Holland abgelehnt wurde? Auf welchem Tatsachenniveau einigen sich die Staaten, die bis jetzt teilweise sehr unterschiedliche Anerkennungsquoten hatten (Frankreich bei Tamilen bis vor kurzem noch 31 Prozent, Bundesrepublik Deutschland 7 Prozent). Wie soll das Problem gelöst werden, daß die Bundesrepublik Deutschland ein Asylgrundrecht hat, alle anderen Vertragsstaaten aber auf der Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention entscheiden? Bekanntlich sind beide Normen(-Systeme) nicht deckungsgleich. Soll Frankreich darüber entscheiden, ob ein Flüchtling die Voraussetzungen des Artikels lb Grundgesetz erfüllt, obwohl es diese Norm in Frankreich gar nicht gibt? Das ist der Unterschied zwischen einem Flüchtling und der Margarine: Beim Margarine-Import beziehen sich die EG-Staaten auf die gleiche Rechtsnorm. Neben den materiellrechtlichen gibt es durchgreifende verfahrensrechtliche Bedenken gegen diesen Teil des Schäuble Vorschlags. Frankreich etwa kennt bis heute keine justizförmige Überprüfung seiner verwaltungsbehördlichen Asylentscheidungen. Dagegen ist in der Bundesrepublik Deutschland auch dem Ausländer der sogenannte Rechtsweg eröffnet: Artikel 19 Absatz 4 Grundgesetz - das formelle Hauptgrundrecht unserer Verfassung, wie es das Bundesverfassungsgericht genannt hat - gewährleistet die gerichtliche Überprüfung, wenn sich jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt glaubt. Deutschland hätte demnach etwa Frankreich zu nötigen, den Asylantragstellern den Zugang zur Justiz zu ermöglichen: Oh, la, la! Les boches ante portas! Ein Dauerbrenner: Verfahrensbeschleunigung Niemand wünscht sie sich mehr als die politisch Verfolgten. Gesetzgeber und Verwaltung. haben in den vergangenen zehn Jahren kaum noch zählbare Maßnahmen ergriffen, um sie zu erreichen. Fast vergeblich. Bei vielen dieser Würfe kam ein Bumerang zurück. So etwa führte die Vorprüfung durch die sachlich und personell hierfür gar nicht ausgestatteten Ausländerbehörden zu einer enormen Verfahrensverzögerung. Wer heute schriftlich ein Asylgesuch an die in Hessen allein zuständige Ausländerbehörde richtet, wartet mehr als zwei Monate,. bis er zur ausländerbehördlichen Anhörung geladen wird. Gleiches gilt für die Erfindung, die Asylablehnungsbescheide des Bundesamtes dem Flüchtling über die Ausländerbehörde zuzustellen. Es dauert Wochen, häufig Monate, ja nicht selten bis zu einem Jahr, bis die Bescheide den Empfänger erreichen und dieser prüfen kann, ob er Klage erhebt. In Anbetracht dessen war es lächerlich, die Frist für die Einlegung eines Rechtsmittels auf vorläufigen Abschiebungsschutz im Falle der Entscheidung als offensichtlich unbegründet auf eine Woche zu verkürzen. Auch die Verteilungs- und Zuweisungsverfahren, die eine Folge der Gemeinschaftsunterkunft als Regelunterkunft sind, verschleppen die Verfahren und verhindern zügige Anhörung durch die entscheidende Instanz: das Bundesamt. Sodann: Die fortwährenden Rechtsänderungen führen zu ungezählten Rechtsproblemen, die die Justiz nicht übers Knie brechen kann und will. Jetzt werden weitere, angeblich der Beschleunigung dienende Vorschläge gemacht. Beschränkung des Rechtsweges auf eine Instanz; Entscheidung durch den sogenannten Einzelrichter ist obligatorisch; weitere Verkürzung der Rechtsmittelfristen; Einführung von Ausschlußfristen für die Asylantragstellung. Zu Recht protestieren vor allem Richter hiergegen (vgl. etwa die Stellungnahme der Fachgruppe Asyl- und Ausländerrecht in der Neuen Richtervereinigung vom 18. September 1991). Da Einzelheiten erst mit Vorlage des neuen Asylverfahrensgesetzes im Winter 1991/92 bekannt werden, seien hier nur zwei Hinweise gegeben. Ist künftig ein Rechtsmittel gegen die erstinstanzliche Gerichtsentscheidung ausgeschlossen; fehlt es zwangsläufig an der Möglichkeit der Rechtsvereinheitlichung im Bundesgebiet. Bisher war diese einigermaßen gewährleistet; Berufungen und Revisionen sind derzeit in gesetzlich normierten Ausnahmefällen zugelassen. Die Entscheidungspraxis der erstinstanzlichen Gerichte ist oft sehr unterschiedlich. Dies liegt zum einen an der Kompliziertheit der Materie, zum anderen auch an der Sichtweise der Richter. Schon heute kann es einen großen Unterschied machen, ob zum Beispiel über die Asylklage eines Iraners die 4. Kammer des Verwaltungsgerichtes Wiesbaden oder die 23. Kammer des Verwaltungsgerichtes Berlin zu entscheiden hat. Solange die Bundesrepublik Deutschland ein föderales System hat, muß sie auf dem Gebiet des Bundesrechtes die Möglichkeit der Rechtsvereinheitlichung durch Bundesgerichte zulassen. Die Einführung einer Ausschlußfrist, nach deren Ablauf ein Asylantrag nicht mehr gestellt werden darf, ist ganz unsinnig. Lassen wir das Wort vom heiligen Asylrecht beiseite. Was heilig ist, ist allenfalls auf der Grundlage des kanonischen Rechtes justitiabel. Das Asylrecht ist Menschenrecht. Menschenrechte sind unverzichtbar, unantastbar, unverletzlich, wie unsere Verfassung sich ausdrückt. Also sind sie zu Lebzeiten ihres Trägers auch unverwirkbar. Wem nützt es, wenn ein Asylantrag nicht mehr gestellt werden darf, die Behörden und Gerichte sich dann aber mit einem Antrag auf Schutz der Menschenwürde zu plagen haben? Die Alternative Die Vorschläge zur Lösung des Problems sind, rechtlich gesehen, eher konservativ: l. Das Asylrecht verteidigen Artikel l6 Absatz 2 Satz 2 Grundgesetz ist so zu belassen, wie derzeit verankert. Dem Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz und den Liberalen ist zuzustimmen : Politisch Verfolgte, die nicht in einem anderen Staat Sicherheit vor Verfolgung gefunden haben, bedürfen uneingeschränkt unseres Schutzes. Man muß nicht mit der Judenverfolgung während des Nationalsozialismus argumentieren., Es genügt, die unvorstellbar grausamen Erlebnisse zur Kenntnis zu nehmen, von denen heute Männer und Frauen etwa aus dem Iran oder der Türkei berichten. Diese Menschen auf einen Drittstaat zu verweisen, obwohl sie nach Deutschland fliehen wollen, ist Verachtung. Das Grundrecht ist so zu handhaben; wie vom Bundesverfassungsgericht in seiner grundlegenden Entscheidung vom 4. Februar 1959 verbindlich für Behörden und Gerichte ausgelegt: «Das Asylrecht wurde allgemein (im Parlamentarischen Rat) als das Recht bezeichnet, . (...) Schon diese Erwägungen legen es nahe, den Begriff des politisch Verfolgten nicht eng auszulegen. Eine weite Auslegung des Artikels 16 Absatz 2 Satz 2 GG entspricht nicht nur dem Geist, in dem er konzipiert worden ist, sondern auch der Situation, für die er gemünzt war. Sie ist gekennzeichnet durch tiefgreifende gesellschaftspolitische und weltanschauliche Gegensätze zwischen Staaten, die wesensverschiedene innere Strukturen entwickelt haben. In einer Reihe von Staaten wird zur Durchsetzung und Sicherung politischer und gesellschaftlicher Umwälzungen die Staatsgewalt in einer Weise eingesetzt, die den Grundsätzen freiheitlicher Demokratie widerspricht. Das Grundrecht des Artikel l6 Absatz 2 Satz 2 GG sollte auch dieser Notlage Rechnung tragen; dem muß seine Auslegung entsprechen.» Die großzügige Auslegung und Anwendung des Asylgrundrechtes verringert die Belastung der Justiz und verringert die Zahl der sogenannten De-facto- Flüchtlinge. Das Asylgrundrecht in seiner gegenwärtigen Fassung ist auch gegen gutgemeinte, im Ergebnis aber schädliche Erweiterungsvorschläge der "Linken" zu verteidigen. Der Vorschlag etwa, «geschlechtsspezifische» Verfolgung in die Verfassung zu schreiben, ist unnötig. Der Begriff der politischen Verfolgung, wie er in Artikel 16 GG enthalten ist, umfaßt auch diesen Aspekt (vgl. etwa die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15.3.1988 zur Verfolgung Homosexueller durch die Islamische Republik Iran). Jede Ausfächerung des Begriffs der politischen Verfolgung im Grundgesetztext schränkt die Vorschrift ein, weil die Phantasie der Verfassungsjuristen allemal kleiner ist als die Phantasie der menschenverachtenden Verfolger Die Ausweitung des Asylgrundrechtes auf den Tatbestand der Flucht aus Gründen eines Krieges, einer Katastrophe oder einer Hungersnot muß unweigerlich dazu führen; die Position jener zu stärken, die es abschaffen wollen, Man darf nicht übersehen: Das Asylgrundrecht ist als Individualgrundrecht ausgeprägt, das heißt, der einzelne kann die Gewährung notfalls vor Gericht erstreiten, wenn der Tatbestand der politischen Verfolgung erfüllt ist. Als solches Recht ist das Asylgrundrecht für die anderen Fluchttatbestände nicht geeignet. Das Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland stellt für diese Menschen andere Instrumentarien zur Verfügung, etwa das Gesetz über Maßnahmen für im Rahmen humanitärer Hilfsaktionen aufgenommene Flüchtlinge (Kontingentflüchtlingsgesetz) vom 22.7. 1980. Danach können Flüchtlinge ohne Einzelfallprüfung aus verschiedenen humanitären Gründen aufgenommen werden. Hier ist, wie der Gesetzesname schon sagt, eine Kontingent- oder Quotenregelung angebracht. Daß dieses Gesetz kaum gehandhabt wird, ist bedauerlich. Fehlt dieser Gesellschaft aber die Kraft durchzusetzen, daß Artikel 16 Absatz 2 Satz 2 GG in seiner jetzigen Form erhalten bleibt und großzügig praktiziert wird, wo soll sie die Kraft hernehmen, ihn über die politisch Verfolgten hinaus auszuweiten? 2. Die Verfahrensbeschleunigung Das Asylverfahren ist ausschließlich in die Hände des Bundes zu legen. Das Verfahren wird enorm verkürzt, wenn Asylanträge, wie es übrigens bis 1982 der Fall war, beim Bundesamt gestellt werden. Das Bundesamt hat nicht nur über die Frage der politischen Verfolgung, sondern auch über alle sonstigen Gesichtspunkte des menschenrechtlichen Schutzes zu entscheiden. Die entsprechenden Normen sind Bundesrecht oder Völkerrecht. Die Entscheidung ist, wenn nicht Ausnahmesituationen vorliegen, am Tage der Anhörung zu treffen. Es ist nicht einzusehen, daß nach der Anhörung, wie jetzt, Wochen oder Monate vergehen, bis eine Entscheidung getroffen wird. Außerdem ist dann der persönliche Eindruck, auf den es angeblich so sehr ankommt, verflogen, überlagert durch weitere Anhörungen. Die Zustellung hat binnen zwei Wochen zu erfolgen, und zwar vom Bundesamt an den Antragsteller. Der Verkürzung des Verfahrens, nämlich der Entlastung der Justiz, würde folgendes dienen: Der Flüchtling muß sich auf die Anhörung gut vorbereiten können. Wird ihm diese Gelegenheit nicht gegeben, wird das Verfahren unnötigerweise auf die Justizebene verlagert. Die Zeit, die zu Beginn des Verfahrens «gespart» wird, wird im gerichtlichen Verfahren um ein Vielfaches «ausgegeben». Die beim Bundesamt anhörenden Personen müssen sehr viel besser als bisher Gelegenheit erhalten, sich mit der Situation in jenen Ländern, für die sie zuständig sind, vertraut zu machen. Die Erfahrung lehrt: Profunde Kenntnis hinsichtlich des Herkunftslandes eines Flüchtlings erlaubt nach relativ kurzer Zeit die Unterscheidung zu treffen, ob es sich um einen politisch Verfolgten bzw. Bona-fide-Flüchtling handelt oder um einen Märchenerzähler. Und weiter: Die anhörende Person darf versteckte oder offensichtliche Widersprüche nicht stehenlassen, sondern muß sie vorhalten und Gelegenheit zur Klärung geben. Leider ist das häufig nicht der Fall, gleich aus welchem Motiv Es ist nicht einzusehen, warum die Gerichte diese Aufklärung Jahre später nachholen sollen. Solche Widersprüche gibt es bislang nicht nur innerhalb des Vortrags vor dem Bundesamt, sondern häufig zwischen den flüchtig aufgenommenen vorläufigen Asylantragsbegründungen gegenüber der Ausländerbehörde einerseits und den Erklärungen gegenüber dem Bundesamt andererseits. Auch ist nicht einzusehen, daß erst die Gerichte einen Kläger fragen, ob er diese oder jene Behauptung durch Beweismittel stützen könne (was dann oft möglich ist). Das kann schon beim Bundesamt geschehen, wird aber von nicht wenigen, keinesfalls allen oder auch nur den meisten, Einzelentscheidern vernachlässigt. Zum Schluß noch dies: Das anzustrebende Ziel, das Asylverfahren auf in der Regel maximal sechs Monate zu verkürzen, inklusive einer ersten verwaltungsgerichtlichen Instanz, erfordert unbedingt eine Bereinigung der jetzt bei der Justiz anhängigen Verfahren. Die meisten Gerichte schieben Berge von Akten vor sich her. Werden diese Verfahren nicht durch eine sehr großzügige "Altfallregelung" beendet, ist für künftige Bemühungen um Verfahrensbeschleunigung nicht nur jede Liebesmüh verschwendet. Die nächste Verfahrensverzögerung - wäre programmiert.