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Bündnis 90 / Die Grünen: |
Am 1. Januar 1991 trat eine leichte Änderung des Ausländergesetzes
in Kraft. Es erleichtert die Integration von Ausländern, die bereits
lange in der Bundesrepublik leben und arbeiten. Umgekehrt erschwert es
den Zuzug für alle anderen. Von Bürgern
fast aller außereuropäischen Staaten verlangt Deutschland heute
ein Visum. Dies gilt auch für Kinder unter 16 Jahren.
Jugendliche im Alter von 16 bis 23 Jahren haben seither (nach §
85 Ausländergesetz) einen Regelanspruch auf Einbürgerung, sofern
sie gewisse Bedingungen erfüllen, ebenso Ausländer nach l5jährigem
Aufenthalt und gesichertem Unterhalt (§ 86).
Bei allen anderen liegt die Einbürgerung im Ermessen des Beamten, der den Fall betreut. Die Einbürgerungsrichtlinien (bislang nur als jpg (313kB) verfügbar, aber hochinteressant zum lesen!!) lassen ihm reichlich Spielraum: Er hat zu prüfen, »ob der Bewerber einen wertvollen Bevölkerungszuwachs darstellt« oder ob »eine freiwillige und dauerhafte Hinwendung zu Deutschland, Grundkenntnisse unserer staatlichen Ordnung und ein Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung« festzustellen ist. Zu den Voraussetzungen zählt in der Regel die Aufgabe der ersten Staatsangehörigkeit, auch sollte die ganze Familie möglichst eine einheitliche Staatsbürgerschaft haben.
Vier Aufenthaltstitel regeln heute den Status eines Ausländers in der Bundesrepublik: Aufenthaltserlaubnis und Aufenthaltsberechtigung versprechen einen einigermaßen gesicherten Status. Die Aufenthaltsbewilligung ist zeitlich begrenzt, etwa für Saisonarbeit, ein Studium oder einen Besuch. Die Aufenthaltsbefugnis gilt für Flüchtlinge aus humanitären Gründen, die zwar nicht als Asylberechtigte anerkannt wurden, aber auch nicht abgeschoben werden können. Die sogenannte Duldung ist dagegen keine Aufenthaltsgenehmigung. Sie bedeutet nur den Verzicht des Staates auf Abschiebung, wenn ein abgewiesener Asylsuchender dies beantragt.
Nur Ausländer mit einer Aufenthaltsberechtigung erhalten automatisch eine Arbeitserlaubnis. Für alle anderen wird diese nur befristet ausgestellt. Außerdem muß in der betreffenden Berufssparte ein Mangel an Arbeitskräften aus Deutschland oder der EU herrschen. Der Verlust des Arbeitsplatzes birgt die Gefahr der Ausweisung in sich, wenn nicht bald ein neuer gefunden werden kann. Lediglich an Aufenthaltsberechtigte wird Sozialhilfe bezahlt, auch das aber nur eingeschränkt; für alle anderen kann der Antrag darauf sogar als Ausweisungsgrund dienen. Vollständiges Kindergeld erhalten Eltern (mit Staatsangehörigkeit außerhalb der EU) nur für Kinder, die in Deutschland leben.
Alle Ausländer unterliegen einer Beschränkung der politischen Betätigung. Widerspricht beispielsweise eine Demonstration den »außenpolitischen Interessen der Bundesrepublik«, können Beteiligte ausgewiesen werden. Verstöße gegen »die öffentliche Sicherheit und Ordnung« zählen ebenso als Ausweisungsgründe wie alles, was »erhebliche Interessen der Bundesrepubik Deutschland beeinträchtigt«.
Man erleichterte 1991 grundsätzlich den Familiennachzug, allerdings nur für die Kernfamilie. Lediglich bei Aussiedlern erweiterte man die Kernfamilie auf Verwandte dritten Grades. Ehemann oder -frau dürfen nachreisen, wenn der Partner bereits seit acht Jahren in der Bundesrepublik lebt. Kommt die Ehegattin jedoch schwanger oder mit einem Kind hierher, so gilt für sie nur eine fünfjährige Aufenthaltserlaubnis. Kinder bis zu 16 Jahren gelangen unbehindert ins Land, wenn beide Eltern feste Aufenthaltstitel besitzen und ausreichenden Wohnraum und Unterhalt nachweisen können. Nichteheliche Gemeinschaften fallen nicht unter diese Bestimmung. Für langjährige »Gastarbeiter« gelten erleichterte Einbürgerungsbedingungen. Jungen Ausländern wurde eine Wiederkehroption eingeräumt. Bis zum 21. Lebensjahr dürfen sie ungehindert nach Deutschland zurück, auch wenn sie zuvor mit ihren Eltern ausreisten.
Die Nationalität des Neugeborenen wird bei Anwendung des »Rechts durch das Blut« durch die Abstammung bestimmt. Das Jus sanguinis gilt in Deutschland sowie in anderen mitteleuropäischen Ländern. Belgien, Holland, Großbritannien, Portugal und Spanien gewähren Menschen, die im Land geboren werden, die Staatsangehörigkeit, wenn zusätzliche Bedingungen erfüllt sind; dazu gehört etwa, daß auch ein Elternteil dort zur Welt kam. In Frankreich, den USA und anderen klassischen Einwanderungsländern in Übersee dagegen findet das jus soli Anwendung. Wer in diesen Ländern geboren wird, hat automatisch eine Option auf die entsprechende Staatsbürgerschaft. Dieses Angebot kann der Betroffene allerdings mit Erreichen der Volljährigkeit auch ausschlagen. Würde diese Regelung in der Bundesrepublik gelten, so bekämen heute 90 Prozent der Kinder von Ausländern die deutsche Staatsbürgerschaft. Rund 50 Prozent aller Ausländer leben seit mehr als zehn Jahren hier, 25 Prozent sogar seit mehr als 20 Jahren. Über eine Million Kinder und Jugendliche ausländischer Eltern wachsen in Deutschland auf, wo zwei Dritteln davon auch geboren wurden. Die momentane in Diskussion stehende Änderung des Staatsangehörigkeitsrechtes entspricht einem partiellen jus soli.
Ausländer, die sich auf Dauer in der Bundesrepublik niedergelassen haben, können die deutsche Staatsangehörigkeit beantragen, sofern sie bereit sind, ihre bisherige aufzugeben. Einen Anspruch auf Einbürgerung haben insbesondere Aussiedler nach Artikel 116 Grundgesetz, daneben junge Ausländer zwischen 16 und 23, die seit mindestens acht Jahren hier leben, sechs Jahre eine Schule besucht haben, straffrei sind und ihre alte Staatsangehörigkeit aufgeben wollen. Befristet bis zum 31. Dezember 1995 konnten auch Ausländer einen Rechtsanspruch geltend machen, die seit 15 Jahren ihren rechtmäßigen Aufenthalt in der Bundesrepublik haben und neben den vorher genannten Bedingungen auch ihren Lebensunterhalt selbständig bestreiten können.
Auch wer mindestens zehn Jahre in Deutschland gelebt hat, eine Arbeit und eine Wohnung besitzt sowie die deutsche Sprache beherrscht, kann die Einbürgerung beantragen. Die Bedingungen legen das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 (§ 8 und § 9) sowie die Einbürgerungsrichtlinien von 1977 fest. Antragsteller aus Entwicklungsländern haben schlechte Karten, da ihre Aus- und Weiterbildung dem Herkunftsland zugute kommen soll. Auch nach Vorstrafen und Ordnungswidrigkeiten fragt das Antragsformular. Die Entscheidung liegt schließlich im Ermessen der Behörde. Die Gebühr für einen Antrag auf Ermessenseinbürgerung beträgt 500 Mark. 1992 haben die Behörden 37.042 solcher Anträge stattgegeben. Türken, die größte ausländische Gruppe in der Bundesrepublik, machen wenig Gebrauch von den verschiedenen Möglichkeiten der Einbürgerung. Nur 4.000 nehmen pro Jahr die deutsche Staatsbürgerschaft an.
Wir erkennen an, daß ein unumkehrbarer Zuwanderungsprozeß in der Vergangenheit stattgefunden hat und setzen auf die Integration der auf Dauer bei uns lebenden Zuwanderer, die sich zu unseren Verfassungswerten bekennen.
Im Zentrum unserer Integrationspolitik wird die Schaffung eines modernen Staatsangehörigkeitsrechts stehen. Dabei sind insbesondere zwei Erleichterungen umzusetzen:
Wir werden die im ausländerrechtlichen Vermittlungsverfahren nur unzureichend umgesetzte Reform des eigenständigen Ehegatten-Aufenthaltsrechtes zu Ende führen. Dazu werden wir die allgemeine Wartefrist von vier auf zwei Jahre herabsetzen und die Härtefallklausel so gestalten, daß unerträgliche Lebenssituationen der Betroffenen angemessen berücksichtigt werden können. Im übrigen werden wir den Novellierungsbedarf im Ausländergesetz mit Rücksicht auf internationale Vereinbarungen überprüfen.
Zehn Argumente statt Ausgrenzung:
Ja zum neuen Staatsbürgerschaftsrecht
Faltblatt des Ausländerbeirates
der
Landeshauptstadt München,
1999
1. Loyalität :
Sind Doppelstaatsangehörige
dem einbürgernden Staat
gegenüber illoyal?
Menschen sind nicht allein Kraft ihres Passes loyal zu dem Staat, in dem sie leben. Alle Menschen, die in einem Staat leben, sind seiner Verfassung und seinen Gesetzen unterworfen. Einbürgerung ist ein Angebot an all diejenigen, die sich schon bisher als verfassungskonform erwiesen und einen wertvollen Beitrag zu dieser Gesellschaft geleistet haben, ein Angebot, welches Loyalität zu Deutschland dokumentiert und weiter fördert. Andererseits ist auch der Einbürgerungswunsch ein Zeichen der Loyalität, nicht der Illoyalität zu unserem Staat. Es werden nur Menschen eingebürgert, die sich zu diesem Staat und seiner Verfassungsordnung bekennen.
2. Sozialausgaben:
Wird das soziale Netz Deutschlands
mißbraucht?
Das Sozialsystem der Bundesrepublik wird nicht verstärkt belastet. Einbürgerung ist davon abhängig, daß der Lebensunterhalt ohne Inanspruchnahme von Sozial- oder Arbeitslosenhilfe gesichert ist. Es ist sogar vorgesehen, eine bisher im Einbürgerungsrecht bestehende Sozialklausel zu streichen, die eine Ermessenseinbürgerung in unverschuldeten sozialen Notlagen ermöglicht hat. Das von Ausländerinnen und Ausländern erwirtschaftete Sozialprodukt übersteigt nach Berechnungen des Deutschen Institutes für Wirtschaftsforschung (DIW) die Ausgaben für die ausländische Bevölkerung. 100 Milliarden Mark Steuern und Abgaben stehen 70 Milliarden Mark Leistungen an die ausländische Bevölkerung gegenüber.
3. Doppelstaatsangehörigkeit
im In- und Ausland:
Ist die doppelte Staatsbürgerschaft
ein gescheitertes Modell?
Beispiele aus dem Ausland wie aus dem Inland belegen, daß Doppelstaatsbürgerschaft kein Staatswesen gefährdet. Seit Jahren wird bei hunderttausenden Aussiedlern aus Osteuropa die Doppelstaatsbürgerschaft akzeptiert. In Ländern wie Frankreich, Grof3britannien, Italien, der Schweiz, Niederlande, Portugal, Kanada und USA hat sich das Modell bewährt.
4. Familiennachzug:
Kommen 600.000 Ausländerinnen
und Ausländer zusätzlich nach Deutschland?
Ungebremster Familiennachzug ist ausgeschlossen. Die jetzt geltenden Familiennachzugsregelungen können von dem Anspruchskreis der Einbürgerungsberechtigten bereits seit Jahrzehnten wahrgenommen werden. Durch die Einbürgerung werden Nachzugsansprüche lediglich um Jugendliche ab dem vollendeten 16. Lebensjahr erweitert. Deren Zahl wird auf höchstens 4.000 Personen geschätzt. Der Nachzug von Eltern, Geschwistern oder sonstigen Verwandten mit Ausnahme der Ehegatten und minderjährigen Kinder ist auch zu Deutschen nicht möglich. Der Anwerbestop mit weitestgehendem Verbot der Einreise für Nicht-Unionsbürgerinnen und -bürger zum Zweck der Arbeitsaufnahme gilt nach wie vor. Derzeit sinken sogar die Ausländerzahlen in Deutschland.
5. Gleichbehandlung:
Werden Doppelstaatsangehörige
privilegiert?
Es darf nicht übersehen werden, daß bei den meisten Einbürgerungswilligen, trotz der Entscheidung für diese Gesellschaft als Lebensmittelpunkt, noch persönliche und kulturelle Bindungen an das Herkunftsland bestehen. Für viele würde die Aufgabe der bisherigen Staatsbürgerschaft einen moralisch-psychologischen Bruch mit ihrer Geschichte und Familie bedeuten. Die Doppelstaatsangehörigkeit mildert diesen Konflikt. Sie verhindert Schwierigkeiten in erb- oder vermögensrechtlichen Fragen und sie erleichtert den Reiseverkehr (z.B. bei Verwandtenbesuchen). Bei Herkunftsdeutschen fällt dieser Aspekt nicht ins Gewicht. Doppelstaatsangehörigkeit schützt nicht vor Diskriminierungen wegen Sprache, Hautfarbe oder Religion. Von einer Privilegierung gegenüber Herkunftsdeutschen kann also nicht die Rede sein. Einbürgerung unter Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft kann aber bereits wahrnehmbaren Segregationstendenzen entgegenwirken und dazu beitragen, daß Ausgrenzungserfahrungen leichter bewältigt werden.
6. Überfremdung und deutsche
Identität:
Deutschland den Deutschen?
Einbürgerung ist ein wechselseitiges Bekenntnis: Von Einbürgerungswilligen gegenüber dem Land, in dem sie dauerhaft leben wollen und von der deutschen Gesellschaft gegenüber den Einbürgerungswilligen, die diese als willkommene Mitbürgerinnen und Mitbürger mit allen Rechten und Pflichten anerkennt. Die Doppelstaatsbürgerschaft fördert die fortschreitenden Beziehungen zwischen den Ländern dieser Welt und ihren Bewohnern. Sie respektiert Bindungen an das Herkunfts- ebenso wie an das Aufenthaltsland. Bereits heute kommen z.B. in München auf 5.041 zwischen Deutschen geschlossene Ehen 1.938 oder 27,78% binationale Ehen jährlich. Über 20% aller Münchnerinnen und Münchner besitzen keinen deutschen Paß, obwohl sie ein fester Bestandteil unseres Gemeinwesens sind. Nicht nur Europa, sondern die ganze Welt wächst zusammen. Allein München zählt jährlich 1.355.000 Gäste aus dem Ausland. Völkisches Denken hat hier keinen Raum und gefährdet den Integrationsprozeß in einer seit Jahrhunderten multikulturellen Gesellschaft wie Deutschland.
7. Sprache:
Kann man Deutscher werden, ohne
Deutsch zu können?
Es ist unbestritten, daß Integration durch Sprachkompetenz weiter gefördert wird, unabhängig vom Paß! Nach dem bisherigen Recht haben Ausländerinnen und Ausländer mit langem Aufenthalt von mindestens 15 Jahren einen Einbürgerungsanspruch ohne Nachweis von Sprachkenntnissen. Nach dem neuen Recht kann nur eingebürgert werden, wer sich auf Deutsch verständigen kann.
8. Kriminalität:
Wächst die Kriminalität,
wenn die Einbürgerung erleichtert wird?
Eine zusätzliche Kriminalisierung der Gesellschaft ist ausgeschlossen. Straffreiheit ist eine Vorbedingung für die Einbürgerung. Wer etwas anderes behauptet, stellt unbescholtene einbürgerungswillige Menschen auf die Ebene von Straftätern und ignoriert, daß nach einer Untersuchung des Bayerischen Landeskriminalamts 95,9% der ausländischen Wohnbevölkerung in Bayern noch nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist.
9. Militär- oder Zivildienst:
Leisten Doppelstaatsangehörige
ihren Wehrdienst im Ausland?
Der Militär- oder Zivildienst wird auch von Doppelstaatsbürgern am Ort des Hauptwohnsitzes geleistet, also in der Regel in Deutschland. Dies werden zwischenstaatliche Abkommen regeln.
10. Wahlrecht:
Wird unsere Gesellschaft von
wahlberechtigten Eingebürgerten radikalisiert?
Die Befürchtung, daß Eingebürgerte radikale Strömungen
in der politischen Landschaft stärken, ist unbegründet. Dies
hat sogar eine von der Bonner CSU-Landesgruppe im September 1998 vorgestellte
Studie zum hypothetischen Wahlverhalten von Ausländerinnen und Ausländern
ergeben. Einbürgerung stellt aber sicher, daß die Volksparteien
die Interessen von Wählerinnen und Wählern nichtdeutscher Herkunft
in ihrer Politik mehr als bisher berücksichtigen.